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von Manuela » 21.06.2014, 11:53
Nun gut, ich bezog mich in meiner obigen Äußerung lediglich auf den unteren Absatz in Maximins Eingangstext, dass Christen in unseren Breiten allgemein zu einer Minderheit geworden seien. Wobei ich mich ernsthaft frage, ob die vielzitierte Pluralität wirklich ein Problem, oder vielmehr ein Phänomen unserer heutigen Zeit ist, denn zumindest die Anzahl der Gottheiten hat im Laufe der Jahrhunderte merklich abgenommen, wenn ich mich recht erinnere. Andererseits haben die Zeiten, in denen - auf Europa beschränkt gesehen - nur die eine große Religion - das Christentum (als Singularität?) - existierte, sich gewandelt. In Sachen Religion verhält es sich heute ähnlich, wie in jedem anderen Wirtschaftszweig auch: Es gibt einen Markt, auf dem verschiedene Religionen und Glaubensgemeinschaften miteinander im Wettbewerb stehen. Diese Entwicklung sehe ich aber nicht als den eigentlichen Kern des Problems, sondern eher als kulturelle Bereicherung: Nein, der (vielleicht evolutionäre) Trend geht - wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen auch - hin zur Individualisierung, weg vom Gemeinschaftsgedanken; nun, irgendwie verständlich, ich muss mir lediglich das letzte Abendmahl in's Gedächtnis rufen. Ich persönlich pflege, ebenso wie Maximin, gelegentlich anderen Gemeinschaften einen Besuch abzustatten. Einerseits, weil ich gerne Kulturgüter besichtige, andererseits aber auch, um einen Gottesdienst einmal völlig schwerelos genießen zu dürfen. Keine Frage, ich beanstande nicht etwa die Lehre der Kirche, der ich angehöre; im Gegenteil, auch gefällt mir unser Kirchengebäude außerordentlich gut, und einen besseren Pfarrer könnte ich mir kaum wünschen, nur eines nervt entsetzlich: Das Gerede! Nun gibt es sicherlich zwei Arten von Gerede: Eines, das besorgt hinterfragt, aber dann leider noch ein anderes, nämlich das einem boshaften Odem entsprungene. Im Prinzip gebe ich nicht viel auf Gerede, zumal man sich ja lediglich klarmachen muss, ein Spiegel seines Nächsten zu sein, sodass ein Gerücht stets mehr über den Absender aussagt, denn über das - na, nennen wir es - Opfer. Ja, ja, die Projektion ... Logischerweise sind die Absender selbst natürlich brave Kirchgänger, denn sonst wüssten sie ja beispielsweise nicht, dass ihr Nächster nur aus dem einen Grunde jeden Sonntag den Gottesdienst besucht, nämlich weil er von Problemen schwer beladen ist, oder schlimmer noch, von Sünden schwer beladen sein muss, anderenfalls müsste er schließlich nicht am Abendmahl (und damit an der Beichte) teilnehmen. So können Gerüchte zum Teil eine ganz arge Eigendynamik entwickeln und sich haushoch auftürmen, jedoch gänzlich an der Realität vorbeidriften. Demzufolge halte ich es da lieber, wie schon der alte Sokrates es zu halten pflegte ↔ Die drei Siebe des Sokrates: Zu Sokrates kam einmal ein Mann und sagte: "Du, höre, ich muss dir etwas Wichtiges über deinen Freund erzählen." "Warte ein bisschen," unterbrach ihn der Weise "hast du das, was du mir erzählen willst, durch die drei Siebe hindurchgehen lassen?" "Welche drei Siebe?" "So höre gut zu! Das erste ist das Sieb der Wahrheit. Bist du überzeugt, dass alles, was du mir sagen willst, auch wahr ist?" "Das nicht, ich habe es nur von anderen gehört." "Aber dann hast du es wohl durch das zweite Sieb hindurchgehen lassen? Es ist das Sieb der Güte." Der Mann errötete und antwortete: "Ich muss gestehen, nein." "Und hast du an das dritte Sieb gedacht und dich gefragt, ob es nützlich sei, mir von meinem Freund zu erzählen?" "Nützlich? – Eigentlich nicht." "Siehst du," sagte der Weise "wenn das, was du mir erzählen willst, weder wahr, noch gut, noch nützlich ist, dann behalte es lieber für dich."
Sokrates (469 – 399 v. Chr.) ... So kann es zuweilen sehr nützlich sein, auf benachbarte Gemeinden, Glaubensgemeinschaften ausweichen zu können. Es lebe die pluristische Singularität!