Maximin hat geschrieben:Shalom, welchen Kirchenbetrieb meinst Du? Dein Beitrag verwirrt mich einigermaßen. Hast Du den von mir eingebrachten EKD-Artikel gelesen? Nein? Schade! Aber gut. Wir begegnen uns hier ja (angeblich) in versöhnter Verschiedenheit.

Frage an Dich:
Wie verschieden sind wir nach allen unseren Enttäuschungen eigentlich wirklich? Nur formell? Nur ein wenig? Oder sind wir nicht in Wahrheit doch irgendwo hängen geblieben wohin wir uns eigentlich nicht mehr hingehörig fühlen?
Glaube ohne Kirche war die Ausgangsfrage. Was meinst Du...?
LG vom Micha

Lieber Maximin,
ich hatte den Artikel vor nicht allzu langer Zeit in „chrismon“(?) gelesen und konnte mich noch gut an ihn erinnern. Schon damals hatte mich der Gedanke gestreift, ob bei der Frage:
[=>Glaube ohne Kirche - kann das gehen? das „Gesetz der Umkehrung“ wohl auch gilt? Die Umkehrung – und damit habe ich niemand verwirren wollen -, lautet lapidar: „Kirche ohne Glauben – kann das gehen?“.
Bei den Anfängen des Christentums sehe ich seit meiner Infizierung mit Pinchas Lapide die Frage nach Huhn und Ein immer noch nicht eindeutig als geklärt an. Wann war Jesus vom Judentum zum Christentum konvertiert? Wann hat Glaube angefangen und war dann die Kirche schon zuvor da gewesen? Gab es also eine Zeit wo es Kirche ohne Gläubige (Glauben) gegeben hat? Oder war alles ganz anders und es gab zuerst Gläubige, jedoch keine Kirche? Dann wäre die Frage: „Glauben ohne Kirche – kann das gehen?“ ja schon längst beantwortet

.
Viele die heute leben, dürften die Zeit der Anfänge der Kirchwerdung Gottes (des damalig neuen Glaubens) nicht mehr selbst miterlebt haben und sind auf Überlieferungen angewiesen, wobei viele Berichte auch nur als Übersetzungen in unsere Zeit hinüber gerettet werden konnten. Der Autor des Artikels, Reinhard Maxick strapaziert denn auch eher, sagen wir mal „Heilige Kirchenväter“ wie z. B. den Heiligen Kirchenvater Tertullian („Extra ecclesiam nulla salus - zu Deutsch: Außerhalb der Kirche gibt es kein Heil“) aus dem zweiten Jahrhundert oder auch Bischof Cyprian („Es kann nicht Gott zum Vater haben, wer die Kirche nicht zur Mutter hat") aus dem dritten Jahrhundert nach Christus. Zu diesem Zeitpunkt war aber die Kirchwerdung Gottes bereits schon in vollem Gange und stand nicht mehr zur Disposition. Heinrich Heine greift später dann den Gedanken über die Geldwerdung Gottes und die Gottwerdung des Geldes auf und der Neoapostolizismus versucht sich aktuell (Leitwort für den 11.10.2009) in der Botschaft der Gottwerdung der selbstbildgerechten Neuapostolischen Kirche („In aller Klarheit führen die Apostel die Gläubigen zum Herrn. Da gibt es kein Halbdunkel, da ist keine Finsternis“, es sei denn "
wir wissen' s nicht"). Seitdem die neuapostolischen Apostel um das Jahr 2000 herum ihren Glauben (F&A) auf einem "Scheiterhaufen" entsorgt hatten, ist der real existierende Neoapostolizismus eigentlich schon eine „Kirche ohne Glauben“. Und das – so hört man s im Dunkeln munkeln -, funktioniert zudem auch noch prima, wie die Apostelmesse mit dem EJT 2009 den Leichtgläubigen mitsamt ihren Funktionären denn auch nur allzu leicht Glauben machen konnte (das machen wir wieder so

).
Inspiriert von Dietrich Bonhoeffer muss ich bei „Kirche“ immer auch an eine „gefallene Kirche“ denken und wie es in so einer Kirche wohl um den „Glauben“ gestanden hat und noch steht? Beäugt uns Gott als eigenverantwortliche Individuen oder pauschal als Kollektiv (Hauptsache Kirche / Gemeinde und der Rest der Individualität wäre ihm egal)?
Ein weiterer Gedanke ist auch das Sein von Kirche. Definieren und organisieren sich religiöse Führungskräfte als temporär heilsnotwendige Kirche oder ordnen sie ihren religiösen Zuständigkeitsbereich einem Teil des Leibes Christi zu? Können als Ekklesia nur Gruppen oder auch einzelne als „herausgerufen“ verstanden werden, ohne sich dabei der Ketzerei schuldig zu machen?
„Eine gute, eine richtige Wahrheit muss es vertragen, dass man sie auch umkehrt. Was wahr ist, davon muss das Gegenteil auch wahr sein können. Denn jede Wahrheit ist eine kurze Formel für den Blick in die Welt von einem bestimmten Pol aus, und es gibt keinen Pol ohne Gegenpol“ (Hermann Hesse, Schriften zu Literatur I).
„Ich vermeide es, Angehörige einer Kirche und Religionsgemeinschaft in ihrem Glauben irre zu machen. Für die Mehrzahl der Menschen ist es sehr gut, einer Kirche und einem Glauben anzugehören. Wer sich davon löst, der geht zunächst einer Einsamkeit entgegen, aus der sich mancher bald wieder in die frühere Gemeinschaft zurücksehnt. Er wird erst am Ende seines Weges erkennen, dass er in eine neue große, aber unsichtbare Gemeinschaft eingetreten ist, die alle Völker und Religionen umfasst. Er wird ärmer um alles Dogmatische und alles Nationale, und wird reicher durch die Brüderschaft mit Geistern aller Zeiten und aller Nationen und Sprachen (Hermann Hesse, Briefe, zweite erweiterte Auflage 1964).
Jeder Mensch ist etwas Persönliches und Einmaliges, und an Stelle des persönlichen Gewissens ein kollektives setzen zu wollen, das heißt schon Vergewaltigung und ist der erste Schritt zu allem Totalitären (Hermann Hesse, Lektüre für Minuten).
Mein lieber „Leuchtturm“ auf meinen Forumsweg, nun ich hoffe, dass ich die Angelegenheit etwas entwirren konnte und es wäre für mich schlimm, das Meer vor lauter Leuchttürmen (eine Leuchtturmmauer gar?) nicht mehr sehen zu können (Unikum grüßt Unikat). Bei einem souveränen Gott kann ich mir nicht vorstellen, dass es Glauben ohne Kirche nicht geben könnte.
In dem Sinne von
[=> CID / Desmond Tutu], einem herausragenden Vorbild für Versöhnung möchte ich herzlich in die Runde grüssen:
„Gott interessiert es nicht, ob wir Christen sind, Muslime oder Hindus! Gott ist kein Christ!“ (Desmond Tutu).
shalom