Hallo Engelchen!
Engelchen hat geschrieben:Nun ich hatte schon immer Schwierigkeiten mit vorgefertigten und formelhaften Gebeten. Ob NAK, EK oder RKK.
Wenn ich bete, spreche ich mit meinem Vater im Himmel. Diese vorgefertigten Gebete erschienen mir seit meiner frühesten Kindheit eher hinderlich.
Jeder Christ muß für sich selbst klären,
was und
wie er beten will (dazu kommt dann noch das
wann und
wo). Jemand, der ausschließlich vorformulierte Gebete verwendet, sollte sich aber in der Tat fragen, ob eine lebendige Gottesbeziehung führt oder ob er nicht im formellen erstarrt ist. Insoweit stimme ich Dir zu.
Aber: Das persönliche Gebet, das "Atmen der Seele", ist nicht alles. Ich denke hier an die in den KAG vertretene Auffassung, wonach man drei Arten des Gebets zu unterscheiden hat:
- - das Gebet im Rahmen des Gottesdienstes,
- die Hausandacht, also das Gebet der Familie oder des Hauskreises, und
- das "Gebet im Kämmerlein", bei dem jeder Christ mit seinen persönlichen Anliegen vor Gott tritt.
Liturgische Formen des Gebets haben hier bei den beiden ersten Kategorien ihren rechten Platz, können aber das persönliche "Herzensgebet" nicht ersetzen. Auf der anderen Seite tritt der Geistliche im Rahmen des Gottesdienstes nicht im eigenen Namen vor Gott, sondern im Auftrag der Kirche, weshalb er auch nicht seine eigenen Anliegen vor Gott bringen und auch keine eigenen Formulierungen verwenden sollte, sondern das Gebet der Kirche verrrichten sollte.
Natürlich ist es für alle, die - wie auch die NAKis - aus einer calvinistischen Tradition kommen, schwieriger, mit solchen vorformulierten Gebeten umzugehen. Ich habe damit, nach einigen Jahren des behutsamen Einlebens, kein Problem mehr. Denn als ich noch ausschließlich versucht habe, alles in meine eigenen Worte zu kleiden, hatte ich auch nach Gebeten von einer halben oder ganzen Stunde Dauer oft das Gefühl, daß etwas nicht stimmen würde, daß ich etwas vergessen hätte ...

Seit ich frühs und abends auch das Stundengebet bete, habe ich dieses gefühl nicht mehr, im Gegenteil, ich fühle mich reich. Und, wie ich oben schon geschrieben habe, es öffnet das Herz für ein wirklich persönliches Gebet. Aber das muß wohl jeder für sich selbst entscheiden.
Außerdem kenne ich kaum jemanden, der seine Gebete wirklich frei formuliert. Meist verwendet man dann doch immer wieder die gleichen "Textbausteine" (manchmal auch in einer anderen Reihenfolge), von denen wiederum viele Textzeilen aus Kirchenliedern sind. Mir leuchtet nicht ein, warum solche privaten Textbausteine generell besser sein sollten als komplett vorformulierte Gebete.
Ein weiterer Vorteil des Stundengebets ist der damit gebotene Rahmen für die regelmäßige Bibellese. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß man einen Bibelleseplan ohne ein solches, gewissermaßen "einkleidendes" und zur Regelmäßigkeit "zwingendes" Gebet kaum durchhält. Für mich ist die Bibellese seither mehr als eine intellektuelle Veranstaltung, die am Schreibtisch stattfindet.
Engelchen hat geschrieben:10 Jahre später saß ich mit einer evangelischen Pfarrerin auf einer Bank.
Auch sie befragte ich zu formelartigen Gebeten und Gebetsbüchern.
Was sie mir sagte?
"Das freie Gebet ist die höchste Form des Gebetes."
"Wenn Ihnen das möglich ist, so tun sie das."
"Alles andere ist lediglich ein Hilfsmittel."
Das mit dem Hilfsmittel ist insoweit richtig, als das Stundengebet eben zur Regelmäßigkeit drängt, man es also auch dann betet, wenn man "eigentlich" keine Lust zum Beten hat oder zu müde ist. "Betet ohne Unterlaß!" Freilich darf man nicht in ein bloßes Rezitieren der Gebete verfallen.
Engelchen hat geschrieben:Vor einiger Zeit besuchte ich einen Verwandten. Er ist evangelischer Pfarrer in einem kleinen hessischen Dorf.
Wir trafen uns zeitgleich vor dem Pfarrhaus. Er hatte farbverschmutzte Kleidung an und war sichtlich sehr müde.
"Engelchen, im Kühlschrank hat es Steaks und Gemüse. Ich geh jetzt erst einmal duschen. Den ganzen Tag habe ich auf unserem Spielplatz verbracht und mit einigen Helfern die Spielgeräte der Kinder neu gestrichen. Es ist eine Schande in welchem Zustand diese Spielgeräte waren."
Ob er nach 14 Stunden körperlicher Arbeit in der Lage war auch nur eine Minute über Stundengebete nachzudenken bezweifle ich.
Mir ist das Gefühl der Ermattung durchaus nicht unbekannt, aber vielleicht sollte sich der Pfarrer einmal ernstlich Gedanken darüber machen, ob er den richtigen Beruf oder die richtige Einstellung hat.

Denn schon in der benediktinischen Ordensregel heißt es "ora et labora" - bete und arbeite (oder, wie es jüngst ein Benediktiner formuliert hat: Ora, Labora et Lectio - Gebet, Arbeit und Schriftlesung).
Nun ist für evang. Geistliche (im Ggs. zu katholischen) das Stundengebet nicht verpflichtend. Das besondere am Stundengebet ist aber, daß es nicht nur das Gebet des Einzelbeters ist, sondern auch das Gebet der ganzen Kirche. Es hat also einen überindividuellen Bezug und stellt den Einzelnen (bzw. die kleine Gebetsgemeinschaft) vor Ort in eine (unsichtbare) Gebetsgemeinschaft auf der ganzen Welt. Das ist ganz praktische Ökumene, jenseits aller (kirchenpolitischen) Bekundungen. Es ist m.E. eines der Grundübel protestantischer Innerlichkeit, das sich auch in die NAK eingeschlichen hat, daß man nur auf sich selbst blickt - und evtl. noch auf seine Verwandten und die örtliche Kirchgemeinde (in der NAK zusätzlich noch auf das Apostelamt).
Die gleiche negative Bewertung würde ich einem übersteigerten Arbeitsethos geben, welches zwar in jeder Arbeit einen Gottesdienst sieht, aber andererseits ein regelmäßiges geistliches Leben für nicht notwendig hält. Es ist in den Evangelischen Landeskirchen - trotz aller Bemühungen der hochkirchlichen Bewegung - leider selbst heute z.T. noch üblich, daß in manchen Gemeinden nur einmal im Monat oder sogar noch seltener das Abendmahl gefeiert wird (die Regel dürften mittlerweile aber mindestens zwei Abendmahlsgottesdienste im Monat sein); ansonsten finden reine Predigtgottesdienste statt (vom reformierten Zweig des Protestantismus kann man vielleicht auch nicht mehr erwarten). Für mich stehen Gebet und Sakramentsgottesdienst aber in der Mitte des geistlichen Lebens.
LG,
Paul